SING SING – Theater als Ausweg

Regie & Drehbuch: Greg Kwedar

Besetzung: COLMAN DOMINGO, CLARENCE „DIVINE EYE“ MACLIN als er selbst, SEAN „DINO“ JOHNSON als er selbst, JON-ADRIAN „JJ“ VELAZQUEZ als er selbst, SEAN SAN JOSÉ, PAUL RACI

Erscheinungsdatum: 27.02.2025

Trailer: (18) SING SING Trailer German Deutsch (2024) Colman Domingo – YouTube

Das RTA-Programm („Rehabilitation Through the Arts“) ist ein amerikanisches Theaterprojekt, das durch künstlerische Aktivitäten die persönliche Entwicklung und Wiedereingliederung von Strafgefangenen fördert – mit erstaunlichen Ergebnissen:
Während die Rückfallquote in den USA bei über 60 Prozent liegt, kehren weniger als 5 Prozent der RTA-Absolventen ins Gefängnis zurück.

Diese bemerkenswerte Statistik weckte das Interesse von Regisseur Greg Kwedar. Er stieß auf einen Artikel von John H. Richardson aus dem Jahr 2005 über eine Zeitreise-Musikkomödie, die die Männer in Sing Sing durch RTA inszeniert hatten. „Ich dachte, dass dies ein guter Ausgangspunkt wäre, um eine Geschichte zu erzählen, die ein tieferes Verständnis für das große Potenzial vieler dieser Menschen hinter Gittern vermittelt, die ansonsten stereotypisiert oder vergessen werden“, erklärt Greg Kwedar.


Der Film hat einen außergewöhnlichen Cast: Über 85 Prozent der Besetzung waren ehemals in Sing Sing inhaftiert gewesen und hatten das RTA-Programm durchlaufen. „Wir wollten einige professionelle Schauspieler, aber die Mehrheit des Ensembles sollten tatsächliche Alumni des Programms sein. Wir vertrauten ihnen, weil wir wussten, dass sie talentiert waren“, so Kwedar. Obwohl sie keine Erfahrung im Film- und TV-Bereich hatten, verfügten sie über Bühnenerfahrung – durch Sing Sing und verschiedene Auftritte. Einige waren seit zehn Jahren draußen, andere erst seit ein paar Monaten. „Die Männer kamen mit ihren Geschichten und einer Offenheit und Verletzlichkeit, die man selten findet. Und das gab den Ton vor. Wir hatten keine ‚schrulligen Charaktere‘ oder komischen Nebenfiguren.


Jede Rolle war als ein wahrhaftiger Mensch, als eine vollständig ausgearbeitete, dreidimensionale Figur angelegt“, sagt Produzentin Monique Walton. Die RTA-Alumni setzten alles daran, so viel wie möglich von ihren professionellen Kollegen zu lernen. Während es zunächst eine gewisse Zurückhaltung gab, mit einem ‚Filmstar‘ zu
spielen, akzeptierten sie Colman Domingo schnell als Kollegen und jemanden, von dem sie das Handwerk lernen konnten. Die Atmosphäre wurde bald die eines tatsächlichen RTAProgramms.

Ehemals inhaftierte Männer zu bitten, in ein Gefängnis zurückzukehren, war keine leichteEntscheidung für die Produzenten. Aber ähnlich dem RTA-Programm selbst, war derProzess kathartisch – sie kehrten nicht als Gefangene zurück, sondern als Schauspieler.

„Vertraue dem Prozess“ ist ein Leitspruch aus dem RTA-Programm, der auch am Set allen half, auf Kurs zu bleiben. Darsteller Sean „Dino“ Johnson erklärt:
„Manchmal wollen wir unseren eigenen Weg gehen, aber man muss dem Prozess vertrauen. Letztendlich wirst du da ankommen, wo du hinwillst, oder in der Lage sein, das zu tun, was du tun möchtest – aber innerhalb des Prozesses. Wenn neue Leute hinzukamen, sagten wir ihnen: ‚Entspannt euch, man muss es nicht sofort verstehen. Vertraut dem Prozess.‘“


Zu den wichtigen Improvisationsübungen gehörten unter anderem die Techniken „Denke an einen Freund“ oder „Perfekter Ort“, bei denen die Teilnehmer die Augen schließen, sich gedanklich an einen bestimmten Ort versetzen und diese Erfahrung mit der Gruppe teilen. Solche Übungen waren ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit des echten RTA-Theaterregisseurs Brent Buell und wurden am Set in ähnlicher Form von dessen Darsteller Paul Raci geleitet. Es waren gerade diese Übungen, die häufig dazu führten, dass die Männer begannen, ein Gefühl der Empathie aufzubauen – eine der wichtigsten Eigenschaften ihrer persönlichen Entwicklung innerhalb des Programms. Clarence Maclin fand die Übungen besonders wertvoll: „Sie fördern Kameradschaft, stärken Freundschaften und lehren uns, wie man sich aufeinander verlassen kann. Sie waren der beste Teil von RTA.“


Bei seiner Verkörperung von Buell machte Raci in jeder Szene deutlich, wie sehr er die Männer im RTA-Programm respektierte – ein Respekt, den sie außerhalb der Probenräume nie erfahren hatten. Die Männer waren ihm nicht unterstellt, bemerkt Raci. „Meine Einstellung war: ‚Männer? Was haltet ihr davon …, was der Art entsprach, in der Brent mit ihnen redete. Er blieb im Hintergrund, ließ sie die Bühne übernehmen und selbst entscheiden, wie die Dinge ablaufen sollten, anstatt zu
sagen: ‚Hey, seht her – ich bin der Schauspieler, ich bin der Regisseur. Ich zeige euch, wie es geht.‘ Das hat er nie mit ihnen gemacht.“

Flow – Die Flut

Regie: Gints Zilbalodis

Besetzung: Katze, Vogel, Hund, Katta, Capybara

Erscheinungsdatum: 06.03.2025

Trailer: (17) FLOW Trailer German Deutsch (2025) – YouTube

Für diesen besonderen und angenehm andersartigen Film empfiehlt es sich aus unserer Sicht den Regisseur Gints Zilbalodis zu Wort kommen zu lassen. Er vermittelt sehr gut, wie Flow wirkt.

FLOW ist eine fast traumähnliche visuelle Erfahrung und auch eine Fabel … Sie erzählen die Geschichte rein visuell, ohne Dialoge und nehmen das Publikum so auf die Reise der Protagonisten mit. Können Sie erklären, warum Sie in Ihren Filmen auf Sprache verzichtet haben, beginnend mit RUSH, Ihrem ersten Kurzfilm 2010?

Dialoge sind für mich nicht gesetzt. FLOW sollte immer ohne Sprache erzählt werden. Vielleicht werde ich eines Tages mit Dialogen arbeiten, wenn sie für die Geschichte wichtig sind. Aber dieser Film wäre dann trotzdem durch die Bilder bestimmt, und Dialoge kämen nur spärlich darin vor. Ich fühle mich einfach wohler mit Bildern, das ist spannender. Meine Lieblingsfilme und Filmszenen sind alle nicht auf Dialoge angewiesen. Woran ich mich bei ihnen am meisten erinnere, sind Bilder und das Erlebnis. Animation ist in diesem Sinn perfekt, weil man die Bildsprache mit viel feineren Details ausstatten kann, als es bei Realfilmen der Fall ist. Das Bildmaterial ist präziser.

Haben Sie den Eindruck, dass aktuelle Animationsfilme zu dialoglastig sind?

Ja, aber sie waren vermutlich schon immer so. Die großen Filme im Besonderen. Es gibt aber viele aufregende und unabhängig produzierte Filme, die sich mehr auf die Bildsprache konzentrieren. Ich weiß nicht, warum so viele Animationsfilme mit Dialogen überfrachtet sind. Mir machen vor allem die ruhigen Momente in Filmen Freude, in denen dem Filmtempo erlaubt wird zu wechseln, so dass der Film nicht einfach nur immer sehr laut und schnell ist. Ich wünschte, dass in den großen Animationsfilmen der Rhythmus öfter wechseln würde. Ich vermute, dass die Witze und das konstante Reden hinzugefügt werden, um Kinder zu unterhalten. Aber ich glaube, dass Kinder auch von Filmen ohne Dialoge gefesselt sein können, wenn sie visuell aufregend erzählt sind.

In FLOW sind Themen wie Naturkatastrophen, Überleben und der Zusammenhalt verschiedener Protagonisten sehr wichtig. Was gefällt Ihnen an dieser Art von Geschichte?

Ich vermute, mir gefällt diese Art von Geschichte, weil ich keinen typischen Bösewicht oder einen Antagonisten im Film haben will. Die Katastrophe ist etwas, womit ich die Geschichte in Gang setzen, einen Konflikt kreieren und die Protagonisten auf eine Reise schicken kann. In FLOW verursacht die Flut eine Menge an Verwüstung. Vielleicht agiert die Überschwemmung zunächst wie eine Art Bösewicht, aber die Tiere lernen die Schönheit der überfluteten Gebiete zu schätzen, als das Wasser mehr und mehr die Welt verschwinden lässt. Diese Naturkatastrophe ist außerdem etwas, was man einem Publikum nicht erklären muss. Jeder kennt so etwas. Weil ich auf Dialoge verzichte, muss ich mit Ideen arbeiten, die sehr direkt sind und keine Erläuterung oder Backstory benötigen. Dann kann ich mich vollständig auf die Protagonisten konzentrieren.

Zu Beginn von FLOW betrachten wir die Katze als den cleveren Helden, der wir alle hoffen zu sein. Aber im weiteren Verlauf stellen wir fest, dass die verschiedenen Tiere andere Facetten von uns repräsentieren, inklusive der weniger positiven.

Es ist lustig zu sagen, dass die Katze der Held ist. Ich denke, das stimmt zwar, aber um ehrlich zu sein, wir wollten auch, dass die Katze sich wie ein Arschloch verhält. Katzen sind manchmal sehr egoistisch und rücksichtlos. Aber vermutlich vergeben wir unserem Protagonisten, weil er so niedlich ist, und auch, weil er sich im Verlauf der Reise weiterentwickelt. Zu Beginn ist die Katze sehr unabhängig und will nicht mit anderen zusammen sein. Da ich den Film aber nicht auf dieser einfachen, didaktischen Idee aufbauen wollte, habe ich mich dafür entschieden, mit dem Hund einen Gegenpol zu erschaffen. Ganz zu Anfang folgt der Hund immer irgendwem. Aber am Ende des Films ist er unabhängiger geworden und trifft seine eigenen Entscheidungen. Alle dargestellten Tierpersönlichkeiten beschreiben die Beziehung Gesellschaft versus Individuum.

Abgesehen von der Katze und dem Hund kommt im Film ein Lemur vor. Wir sehen ihm dabei zu, wie er eine Menge Zeug sammelt. Plötzlich realisieren wir, dass er das macht, weil er denkt, dass er nur aufgrund seiner materialistischen Werte von anderen akzeptiert wird, nicht aufgrund seiner Persönlichkeit. Der Lemur repräsentiert damit auch die Idee der Zugehörigkeit in einer Gesellschaft. Der Vogel in gewisser Weise ebenso. Er will verzweifelt dazugehören, Teil seines Schwarms sein. Das letzte Tier, das Wasserschwein, nimmt in diesem Zusammenhang ein wenig den Platz eines Outsiders ein, weil es sich im Verlauf der Geschichte nicht wirklich verändert. Ich habe mich für das Capybara entschieden, weil ich Bilder gesehen hatte, die zeigen, dass das Wasserschwein mit allen Tieren zurechtkommt, sogar friedlich neben Löwen und Krokodilen schläft. Also auch neben Katzen und Hunden. Es kam mir ganz natürlich vor, dass wir im Film auch diesen Protagonisten dabeihaben.

Der Titel des Films FLOW bezieht sich auf die Flut und die visuelle Form des Geschichtenerzählens, die sich kontinuierlich mit den Protagonisten bewegt, dem Boot und den Wasserströmen folgt. Können Sie uns mehr über den Titel und seine Bedeutung erzählen?

Ich schätze, der Titel spiegelt den Roadmovie-Charakter des Films wider, da sich die meiste Action im Boot abspielt, und das bewegt sich stetig vorwärts. Der Roadmovie-Moment ist sehr wichtig, weil wir dadurch die verschiedenartigen Umgebungen entdecken können, und weil wir ohne Dialoge arbeiten. Außerdem war es für mich bedeutsam, dass es ein klares Ende dieses Trips mit dem Boot gibt, so wie die Protagonisten auch an ihr Ziel kommen. Ebenso wollte ich ein Gefühl von Dringlichkeit vermitteln. Das geschieht durch die Katze, die immer versucht, die Türme zu erreichen, um ihrer Angst zu entfliehen. Das Narrativ ist also stark mit diesem einen Protagonisten verbunden, wobei ich allerdings nicht etwas wie Hitchcocks „MacGuffin“ anlegen wollte. Die Katze ist nicht auf der Suche nach einer bestimmten Sache o. ä. Das Narrativ ist stattdessen direkt mit ihren Ängsten verknüpft. So klettert sie ständig, um Probleme zu vermeiden, auf etwas hinauf. Sie klettert auf ihr Haus, auf den Mast des Bootes, auf die riesigen Türme, alles mit dem Ziel, vor Problemen davon zu laufen. Ich denke, diese Verhaltensweise ist sehr menschlich, viele handeln so, ich wahrscheinlich auch. Ich versuche oft, unangenehmen Dingen aus dem Weg zu gehen. Aber am Ende entscheidet sich die Katze, herunterzuklettern, sich den Herausforderungen zu stellen und Risiken einzugehen. Auch wenn sie sich damit unwohl fühlt.